Sorge für dich

Was können wir in Krisensituation von antiken philosophischen Konzepten der Selbstfürsorge lernen?

Heilsames für den Geist zu kultivieren, gut zu sich selbst zu sein und achtsam zu leben hat seine  Wurzeln schon in der griechischen und römischen Philosophie. Teilweise erleben diese antiken Denkweisen und praktischen Übungen des Geistes in der heutigen Zeit ihre Renaissance. Auch in  vielen psychotherapeutischen Praktiken finden sich vergleichbare Konzepte. In Amerika gibt es mittlerweile stoische Achtsamkeitsseminare und Coachings für Unternehmer. Aber was genau beinhalten diese „alten“ Philosophien?

In verschiedenen antiken Philosophenschulen ist die Auffassung erkennbar, dass ein glückliches Leben lehr- und lernbar ist. Die Seele des Menschen soll von physischen und psychischen Störungen frei sein. Durch die philosophische Praxis der Leitung der Seele bzw. des Geistes soll das Individuum, der Philosophenschüler, durch seinen weisen Lehrer zum glücklichen Leben geführt werden. Der römische Philosoph Seneca, der vielen als Erzieher des berühmten Kaisers Nero bekannt sein dürfte, schreibt einen ganzen Dialog über das glückliche Leben und bietet uns somit eine kleine Lehre vom Glück. Es gibt Hinweise in der Forschung, dass es sich bei diesen philosophischen Schriften nicht nur um theoretische Lehrsätze gehandelt hat, die schulgemäß auswendig gelernt wurden, sondern es lässt sich erkennen, dass es in der Antike schon eine philosophische Praxis der Geistesübung gab. Der Philosophenschüler sollte lernen, seinen Geist zu erforschen und das Freisein von Affekten, also von Gefühlsregungen, trainieren. Ein weiser Lehrer fungiert als Begleiter auf dem Weg zum Lebensglück. Hier lässt sich eine Parallele zur Kontemplationspraxis erkennen, wie sie in der indischen Kultur vorhanden ist, da auch dort die Praxis durch einen weisen Lehrer an die Schüler durch Unterweisung weitergegeben wird. Wir können ein Leben ohne Leid also erlernen. Der Stoiker Epiktet verdeutlicht in seinem Handbuch zur Moral am Beispiel des Todes, dass wir uns bewusst sein müssen, dass Gefühle und Gedanken in unserem Geist entstehen und dass wir dort ansetzen müssen, damit wir den zu erstrebenden Zustand der Seelenruhe erlangen:

Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern nur die Vorstellung von den Dingen. So ist z.B. der Tod nichts Furchtbares, sondern die Vorstellung, er sei etwas Furchtbares ist das Furchtbare. Wenn wir also bedrängt, unruhig oder betrübt sind, wollen wir die Ursache nicht in etwas anderem suchen, sondern in uns und unseren Vorstellungen.

Und auch der bereits erwähnte Seneca schreibt in seinem 15. Brief an seinen Freund Lucilius, dass dieser sich um seine geistige Gesundheit kümmern solle. Deshalb pflege besonders die Gesundheit des Geistes, dann auch als zweites die Gesundheit deines Körpers. Kern der stoischen Philosophie ist das Ziel, die Seele zum Glück zu führen. Und dies gelingt, wenn unser Geist frei ist von Gefühlen, die ihn und somit uns in Unruhe versetzen. Um es mit Epiktets Worten zu sagen, müssen wir in uns selbst die Ursache für unser Leid, unsere Ängste suchen. Durch das Bewusstsein, dass nicht die äußeren Umstände schlecht sind, sondern wir in unserem Geist negative Haltungen haben, kann der Philosoph lernen, auf diese Vorstellungen zu schauen und sich somit von den Vorstellungen und der Gedankenwelt zu „entidentifizieren“.

Ähnlich wird es auch von der Schule der Epikureer gesehen. Epikur nennt als Beispiel ebenfalls unter anderem den Tod. Die Angst vor dem Tod gehöre mit zu den größten Leidquellen, die den Menschen unglücklich machen bzw., die den Menschen davon abhalten, das Ziel im Leben (nämlich bei den Epikureern ein Leben ohne seelischen und körperlichen Schmerz) zu erreichen. Epikur liefert uns eine Medizin für den Geist. Die Erkenntnis, dass der Tod uns nicht interessieren brauche – denn wenn der Tod da sei, seien wir nicht mehr da – müssen wir im Geiste immer wieder bewusst machen, um unsere Seele nicht von Angst lenken zu lassen. In den (wenigen) erhaltenen Schriften von Epikur finden sich mehrere Stellen, an denen explizit die Notwendigkeit einer Praxis betont wird. „Die erhaltenen Lehrsätze und Sprüche sind Zusammenstellungen praktischer Lebensweisheiten, die durch ständiges Memorieren präsent sein sollen und durch gemeinsame Einübung möglichst in Anwesenheit und unter Aufsicht eines Meisters die Lebensführung bestimmen“. Bei den Stoikern werden in der täglichen Meditation, die wichtigsten Lehrsätze der Stoa eingeübt. Die Beherrschung und aktive Anwendung dieser Lehrsätze ist den Stoikern wichtiger als philosophisches Detailwissen.

Wir können viel von den sogenannten Wurzeln unserer Kultur lernen und versuchen, die zumeist theoretisch ausgelegte Philosophie (wieder) in ein praktisches Üben umzuwandeln, so dass der Leispruch des delphischen Orakels zeitlos heilsam bleibt: gnothi sauton – erkenne dich selbst!

Literatur:

  • Gigon, O. (1990). Von der Überwindung der Furcht. Katechismus, Lehrbriefe, Spruchsammlung, Fragmente. München: DTV Deutscher Taschenbuch.
  • Hadot, I. (1969). Seneca und die griechisch-römische Tradition der Seelenleitung. (P. Wilpert, Hrsg.) (Bd. XIII). Berlin: de Gruyter.
  • Kimmich, D. (1993). Epikureische Aufklärungen: Philosophische und poetische Konzepte der Selbstsorge. Darmstadt: WBG.
  • Holiday, R. (2018). Der tägliche Stoiker – 366 nachdenkliche Betrachtungen über Weisheit, Beharrlichkeit und Lebensstil. München: Finanzbuchverlag.
Veronika Schoop, Philosophin, Altphilologin und Pädagogin, Köln

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